Pressespiegel: Die Fraktionsvorsitzenden Michael Servos (SPD) und Harald Baal (CDU) im Interview – Thema: Zwei Jahre Politik der Großen Koalition

Die Fraktionsvorsitzenden der Aachener Ratskoalition aus SPD und CDU, Michael Servos und Harald Baal, haben die beiden Lokaljournalisten Robert Esser und Albrecht Pelzer zu einem „Sommergespräch“ getroffen. Im Folgenden stellen wir Ihnen das Interview in der Aachener Zeitung vom 13. Juli auf Seite 13 im Volltext zur Verfügung.

 

„Es gibt in der Politik keine heiße Liebe“

Die Fraktionsvorsitzenden Michael Servos (SPD) und Harald Baal (CDU) über knapp zwei Jahre große Koalition im Stadtrat

 

Von Robert Esser
und Albrecht Peltzer

 

Aachen. Nein, ein guter Sozialdemokrat wird Harald Baal nicht. Da ist sich der Chef der CDU-Fraktion sicher – und kann sich ein Schmunzeln bei dieser Aussage nicht verkneifen. Aber Christdemokraten und Genossen kommen gut miteinander aus. Sagen Baal und Michael Servos, Vorsitzender der SPD-Fraktion. Ziemlich beste Freunde sind sie nicht, aber Partner auf Augenhöhe, wie sie beide versichern. Dass auch nach zwei Jahren intensiver politischer Zusammenarbeit das respektvoll-distanzierte „Sie“ die Konversation bestimmt, charakterisiert diese schwarz-rote Beziehung ziemlich gut. Eine geschäftliche Basis, an den politischen Notwendigkeiten orientiert. Ein Drittel der Ratsperiode ist vorbei. Wo steht die Koalition? Wie funktioniert sie? Was sind die Perspektiven? Dazu äußern sich Harald Baal und Michael Servos im AZ-Gespräch.

Vor zwei Jahren hat die Aachener Zeitung nach der Kommunalwahl getitelt: „Ex-Gegner flirten“. Ist daraus zwischen CDU und SPD mittlerweile eine große Liebe geworden?

Servos: Es gibt in der Politik keine heiße Liebe. Die gibt es auch nicht in Aachen zwischen Rot und Schwarz. In den 80er Jahren gab es mal so etwas wie Projekte oder Partnerschaften. Das schien damals zwischen Rot und Grün ganz natürlich. Aber darüber sind wir heute, denke ich, längst hinaus. Was wir haben, ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Und die funktioniert gut.

Baal: (lacht) Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bezeichnung Flirt von mir kommt.

Kommt sie auch nicht.

Baal: Sehen Sie. Aber mal ernsthaft: Der Bürger hat uns mit dem Wahlergebnis einen Auftrag erteilt. Und diesen erfüllen wir. Zielsetzung ist, die Aufgaben, die auf dem Tisch liegen, zu erledigen – und dies unter stabilen Mehrheitsverhältnissen. Die Schnittmenge bei CDU und SPD war am größten. In der Summe funktioniert das im Alltag völlig unproblematisch – obwohl CDU und SPD natürlich unterschiedliche Herangehensweisen haben.

Der politische Diskurs findet seitdem vor allem hinter verschlossenen Türen statt. Der Bürger bleibt außen vor, weil sich Schwarz-Rot schon vor dem politischen Beschluss in Ausschüssen und Stadtrat auf eine Linie verständigt hat. Was SPD und CDU bis zur Entscheidungsfindung unterscheidet, erfährt somit kaum jemand.

Servos: In der Tat lösen wir die Probleme ziemlich unaufgeregt. Und die Konzepte beziehungsweise Lösungen, die wir haben, sind ziemlich gut. Beispiel Flüchtlingsunterbringung: Wenn man das in Aachen mit anderen Kommunen vergleicht, ist das hier hervorragend gelaufen. Dass wir grundsätzlich unsere internen politischen Aus-einandersetzungen im Koalitionsausschuss ohne Öffentlichkeit lösen, ist eine Stärke dieser großen Koalition. Ja, das findet vielleicht weniger öffentlich statt als früher.

Baal: Beim Flüchtlingsthema gibt es eigentlich keine politische Auseinandersetzung. Und für viele andere Themen, die sonst in der politischen Gestaltung auf den Tisch kämen, fehlt schlicht und ergreifend das Geld. Der Spielraum ist klein, der Gestaltungskorridor schmal.
Generell gilt bei Kompromissen, die zwei politische Parteien aushandeln: Keiner von beiden hat ein Interesse daran, dass öffentlich wird, wer wie seine Position durchsetzen oder aufgeben möchte. Weil das in der Öffentlichkeit oft als Verlust oder Niederlage interpretiert wird. Naturgemäß mag das keine politische Partei.

Wo unterscheiden sich Positionen von CDU und SPD besonders?

Baal: Ich denke, dass die Haushaltskonsolidierung bei uns größeres Gewicht hat. Da ist die SPD progressiver.

Servos: Wobei man auch das nicht generell sagen kann. Es gibt in beide Richtungen Beispiele.

Welche?

Servos: Das besprechen wir lieber intern.

Wie läuft so eine Entscheidungsfindung der Fraktionen?

Baal: Wenn wir als CDU und SPD einen gemeinsamen Antrag für den Stadtrat vorbereiten, dann wird dieser in der Fraktionsgeschäftsstelle bearbeitet und dann an alle Fraktionsmitglieder per E-Mail rausgeschickt. Die Kollegen haben dann drei, vier Tage Zeit…

…um den Inhalt an die Presse weiterzureichen…

Baal: (lacht) … nein, um zu antworten. Also Verbesserungswünsche oder Kritik zu platzieren. Und dann geht es wieder zurück und wird eingebracht. In früheren Zeiten hat man als Ratsherr erst von Anträgen der eigenen Partei erfahren, wenn sie bei der Sitzung des Stadtrats auf den Tisch kamen. Das ist heute innerparteilich viel transparenter. Da werden möglichst alle mitgenommen.

Servos: Das läuft bei uns ähnlich ab. Darüber hinaus kenne ich die inhaltliche Positionierung meiner Fraktion sehr gut. Zum Beispiel beim Thema Müllgebühren. Da gab es zwei jeweils fünfstündige Workshops mit allen Fraktionen. Und es gab am Ende einen verblüffenden Konsens, den ich nur zusagen konnte, weil ich die Stimmungslage in meiner Fraktion gut kenne.

Das heißt: Der Bürger darf doch noch mitreden?

Servos: Doch, natürlich. Wir haben bisher ausdrücklich nur Leitlinien beschlossen, keine Satzung. Im August wird es ein Bürgerforum zu dem Thema geben. Da kann sich noch viel ändern, bevor die neue Satzung verabschiedet wird. Da darf dann auch kontrovers diskutiert werden.

Baal: Das Müllsystem, das bis heute gilt, war auf die Subventionierung der Mülltrennung ausgerichtet. Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem alle trennen. Deswegen wird es ungerecht, auch weil wir eine Dämpfung der Müllmenge geschafft haben. Jetzt müssen die Müllgebühren gerechter verteilt werden – das hat viel mit Tonnengrößen und vor allem dem Leerungsrhythmus zu tun. Die Feinabstimmung der Gebührentabelle läuft. Debatte Ende August, Satzungsbeschluss im vierten Quartal, Umsetzung 1. Januar 2017.

Reicht das Bürgerforum als Gremium aus, um Bürger in die politische Debatte einzubinden?

Baal: Die Entwicklung des Bürgerforums ist – vorsichtig formuliert – sicher noch nicht abgeschlossen. Bei manchem Thema reicht die Plattform, bei anderen nicht. Manches muss man auf größere Beine stellen und mit Bürgerinformationsveranstaltungen kombinieren. Das galt für das Thema Tihange und gilt für die Müllgebühren am 30. August. Dann kann das Feedback der Bevölkerung viel direkter an Politik und Verwaltung weitergegeben werden. Das fällt im Moment noch zu weit auseinander.

Servos: Wichtig ist aber auch, dass der Bürger weiß, dass er seine direkt gewählten Ratsvertreter direkt ansprechen kann.

Baal: Dann würde der Bürger aber nur bei der CDU anrufen; wir haben nämlich die Direktmandate gewonnen.

Servos: Glauben Sie mir, wir werden mindestens so oft kontaktiert – aber es ist grundsätzlich, glaube ich, bei allen ausbaufähig.

An welche Themen des Koalitionsvertrages haben Sie denn bereits ein Häkchen machen können?

Baal: Wir haben drei zentrale Themenblöcke. Erstens: Stärkung des Wissenschaftsstandortes Aachen. Dieses Thema ist mit der Wissenschaftsstadt Aachen und den vielen Veranstaltungen bereits in der Umsetzung. Zweitens: Bildung. Da sind wir – über die verstärkte U3-Betreuung – im Zielkorridor. Das dritte Thema ist Wohnen. Auch da läuft die Umsetzung, wobei noch nicht alle Punkte erfüllt sind. Aber wir sind schon mehr als gut im Geschäft.

Servos: Häkchen kann man bei solchen Themenkomplexen nirgendwo machen. Das Thema Wohnen wird uns auch in der nächsten Ratsperiode noch begleiten. Das kann man nicht in ein oder zwei Jahren erledigen – auch wenn wir etwa die Erhöhung der Quoten für den sozialen Wohnungsbau sehr schnell umgesetzt haben. In der Regel liegen wir jetzt bei Neubauvorhaben bei einem Anteil von über 30 Prozent beim sozialen Wohnungsbau.

Baal: Wir haben beim sozialen Wohnungsbau schon seit vielen Jahren immer 100 Prozent der verfügbaren Landesmittel abgerufen – das ist deutlich mehr, als beispielsweise Düsseldorf oder Köln geschafft haben. Die Stadt allein oder die Gewoge können den Wohnraum nicht schaffen. Da ist es gut, dass sich sozialer Wohnungsbau dank geänderter Gesetzgebung auch für private Investoren wieder lohnt. Das war nicht immer so. Wer durch die Stadt geht, sieht, dass überall massiv gebaut wird. Das ist gut so.

Weniger gut läuft‘s im Aachener Straßenverkehr. Baustellen, Staus, keine Alternative zur per Bürgerentscheid abgewählten Campusbahn. Irgendwie gewinnt man das Gefühl, dass das große Konzept in Sachen ÖPNV fehlt.

Servos: Mit Bussen wird‘s ein Gewurschtel. Wir wussten das vorher. Aber da müssen wir wohl durch. Auf der alten Campusbahn-Trasse werden jetzt teils Bustrassen angelegt. Daran wird gearbeitet. Am Kaiserplatz, auf dem Willy-Brandt-Platz, auf der Wüllnerstraße werden Busse bald in zwei Richtungen verkehren. Danach wird es kein großes Folgekonzept geben, sondern in vielen kleinen Schritten mit dem Aus- und Umbau des Bussystems weitergehen. Die Bevölkerung wollte den Wechsel von Bus auf Bahn nicht. Also arbeiten wir mit Bussen. Und das wird ausgesprochen schwierig in der Zukunft – auch wenn wir die Elektromobilität immer intensiver in den ÖPNV integrieren werden.

Baal: Die Förderkulisse ist mit dem Abschied von der Campusbahn weggefallen. Die finanzielle Lage der Stadt ist schlecht. Ohne Fördermittel ist in Sachen Verkehrspolitik kein großer Wurf möglich. Und förderfähig war das Campusbahn-Konzept. Das ist verloren. Wie es nach 2019 weitergeht, weiß niemand. Es ist völlig unklar, ob dann noch einmal Fördermittel zur Verfügung stehen – und unter welchen Rahmenbedingungen diese abgerufen werden könnten. Im Moment sehen wir, dass das schlimme Szenario – es gibt zum Beispiel jeden Werktag Gedränge an den Haltestellen Adalbertsteinweg und Rothe Erde – bereits eintritt. Das wird nicht besser werden. Im Gegenteil. Die Kapazitäten reichen einfach nicht.

Zumindest könnte man doch die Luftqualität in Aachen verbessern, wenn man nicht nur mehr Menschen aufs Fahrrad lotst, sondern auch Anreize für Elektroautos schafft. Freies Parken zum Beispiel, Befahren von Busspuren…

Baal: … bis dann das Chaos ausbricht, weil in ein paar Jahren 20 bis 30 Prozent mit Elektroautos fahren. Dann müssen Sie die Bonbons wieder einfangen. Das wäre dann so wie jetzt bei den Müllgebühren – nämlich ungerecht. Solche Bevorzugungen von Elektroautos wären nur ein Marketinggag. Die Förderung der Elektromobilität soll der Bund machen, die Kommune hat da keinen Spielraum.

Servos: Wir haben das in der Fraktion ausführlich diskutiert und sind zum selben Schluss gekommen. Das bringt nichts, das macht für uns keinen Sinn. Schon gar nicht die Mitbenutzung von Busspuren. Damit belaste ich Verkehrsträger, die ja ohnehin schon umweltfreundlicher sind. Wir tun viel für Elektromobilität – und zwar über die Regio IT und die Stawag. Die sind mit Aachener Konzepten bundesweit erfolgreich.

Erfolg und Misserfolg liegen auch beim Ausbau des Bewohnerparkens nah beieinander – zum Beispiel im Frankenberger Viertel.

Baal: Die einen sind glücklich – zum Beispiel Anwohner. Die anderen nicht – zum Beispiel Arbeitnehmer und Unternehmen. Das ist immer eine Abwägungssache.

Sie wollten laut Koalitionsvertrag das Bewohnerparken flexibler gestalten. Das ist doch gar nicht der Fall…

Baal: Doch. Wir haben teilweise Tagestickets eingeführt, teils Tarife verringert. Das ist durchaus flexibel. Außerdem werden wir auch im Frankenberger Viertel in einem halben Jahr mal nachschauen, ob wir noch an einzelnen Stellschrauben nachjustieren müssen.

Servos: Nichts ist in Stein gemeißelt. Es gibt außerdem Handwerkerparkausweise und die Zugängigkeit des Jobtickets – also die Alternative Bus zum Auto – könnte zum Beispiel durch die Wiedereinführung des Poolings für kleine Unternehmen wieder verbessert werden. Man wird sehen.

Welche Themen werden Sie in den noch verbleibenden zwei Dritteln der Ratsperiode angehen?

Baal: Die Konsolidierung der Haushaltssituation und die Stärkung der Wissenschaftsstadt Aachen – und damit auch des Wirtschaftsstandortes.

Servos: Finanzen sind ein gemeinsamer Schwerpunkt. Wir müssen manche alten Zöpfe im Haushalt abschneiden. Dann gewinnen wir auch wieder Gestaltungspotenzial. Natürlich liegt uns die Wissenschaftsstadt genauso am Herzen, aber auch die U3- und Ü3-Betreuung.